Testzeiten: Wir lesen zwischen den Zeilen

Wie sehr haben sich die Saisonvorbereitungen und Tests am Ende auf die Ergebnisse im Rennbetrieb ausgewirkt?

Der dritte und letzte Offizielle Test 2017 vor dem Saisonstart steht dieses Wochenende an und bislang ist einer in der Vorbereitungsphase noch ungeschlagen: Maverick Viñales (Movistar Yamaha MotoGP). Der Spanier fühlte sich auf seinem neuen Motorrad sofort wohl und verlor keine Zeit: Er war sofort schnell und feuerte einige Warnschüsse in Richtung Konkurrenz. Die große Frage aber ist: Was bedeuten diese Ergebnisse bei den Tests wirklich?

Blicken wir zurück auf das erste Jahr der neuen 1000ccm-Ära, das Jahr 2012. Jorge Lorenzo wurde damals Weltmeister auf Yamaha, sein härtester Konkurrent war Repsol Honda Mann Dani Pedrosa. Bei den Tests aber hatte Pedrosas damaliger Teamkollege Casey Stoner den Takt angegeben und war bei beiden Tests in Sepang, sowie beim Abschlusstest in Jerez der schnellste. Der Australier startete damals als amtierender Weltmeister in die Saison. Bei den Tests war Lorenzo aber auch schnell und konstant – schaffte aber den Sprung nicht an die Spitze. Diese Position hat nun Marc Marquez (Repsol Honda Team) inne.

Was passierte dann im Saisonverlauf aber mit der Pace Stoners? Gar nichts. Der MotoGP™ Weltmeister von 2007 und 2011 kämpfte mit Lorenzo immer wieder um Siege, stürzte dann aber in Indianapolis und verletzte sich dabei. Ein Fakt, den man beim Testen vor der Saison natürlich nicht in Erwägung ziehen kann.

2013 ist ein weiteres Beispiel dafür. Die Titelkontrahenten von 2012, Lorenzo und Pedrosa, waren wieder schnell unterwegs – aber auch Valentino Rossi und Cal Crutchlow mischten vorn mit. Beim letzten Test lagen diese vier durch nur etwas über eine Tausendstel getrennt. Aber das New-Kid-on-the-Block war Marc Márquez auf der Repsol Honda. Als Rookie beeindruckte er mit starken Zeiten und in den Top Ten – aber als Titelaspiranten hatte man Márquez dabei noch nicht auf dem Schirm.

Doch das änderte sich, als Marquez mehr Erfahrung sammelte. Er holte nicht nur fünf Siege, sondern wurde als Rookie auch Weltmeister. Die Ergebnisse aus den Tests haben auch keinen Einfluss auf Verletzungen: Zunächst brach sich Lorenzo in Assen das Schlüsselbein, ließ sich in Barcelona operieren und fuhr dann doch noch das Rennen, dann brach er es sich auf dem Sachsenring erneut – und Pedrosa tat es ihm gleich.

Dann kam das Jahr 2014. Marquez war beim ersten Test schnellster, dann brach er sich beim MotoCross-Fahren das Bein. Rossi und Pedrosa lieferten die Bestzeiten ab. Bei Lorenzo zeichnete sich mit Testrang-Sieben eine schwierige Saison ab.

2014 aber sollte dann für Marquez ganz anders laufen, als es die Tests vermuten ließen – denn bei zwei davon hatte er ja gefehlt.

Die letzten beiden Saisons haben dann gezeigt, dass die Tests nicht immer unbedingt ein Anzeichen für die WM sein müssen. 2015 fighteten Rossi und Lorenzo in einem explosiven Duell um die Krone, aber den letzten Test in Losail hatte Andrea Dovizioso für das Ducati Team dominiert, vor Marquez und der zweiten Ducati mit Andrea Iannone. Lorenzo und Rossi lagen auf den Rängen vier und fünf eng zusammen – wie sie es dann für den meisten Teil der Saison tun sollten.

Die Saison 2015 war zwar nicht so verletzungsanfällig wie die Jahre zuvor, aber trotzdem zeigte es sich, dass es am wichtigsten war, Fehler zu vermeiden. Marquez stürzte zu oft und verlor damit zu viele Punkte. Mental stellte er sich dadurch dann aber für das Folgejahr um. Die Yamahas waren stark, aber es hatte nicht den Anschein, dass sie allen davon fahren würden können.

2016 war dann wieder ein ganz anderes Szenario. Beim ersten Test in Sepang landete der amtierende Weltmeister Lorenzo um 1,263 Sekunden vor Marquez. Auf Phillip Island lieferten sich Vinales und Marquez ein Duell, in Katar war Lorenzo wieder um eine halbe Sekunde vorn. Marquez gelang zum Testende ein großer Schritt nach vorn und er wurde Vierter.

Wie holte dann aber Marquez seinen dritten Königsklasse-Titel in vier Jahren?

Regeländerungen, Einheitssoftware und neue Reifen: All das brachte eine Lotterie, aus der neun verschiedene Sieger hervorgingen – Rekord für die Motorrad-Weltmeisterschaft. Die Testergebnisse hatten vermuten lassen, dass so etwas passieren könnte. Aber trotz der Schwierigkeiten, die Marquez dort hatte, holte er am Ende den WM-Titel vor allem über seine Konstanz.

Auch 2017 wird wieder vieles anders. Michelin geht in die zweite Saison als Einheitsreifen-Lieferant. Es gab unzählige Team- und Fahrerwechsel. Und was haben wir aus den Tests gelernt? Dass die sich nicht immer unbedingt in der Saison widerspiegeln müssen. Aber sie bringen Anhaltspunkte – und lassen Spielraum für Vermutungen.

Die große Frage 2017 lautet daher momentan: Wer ist schneller und konstanter und kann das in Punkte münzen – Viñales oder Marquez?