War es die blitzschnelle Entscheidung, die Jorge Martin die Weltmeisterschaft kosten könnte? Wahrscheinlich nicht, aber es kostete ihn einen großen Teil seiner WM-Führung und ließ Zweifel aufkommen, als die ersten Regentropfen fielen. Hat der Regenschauer in der Startaufstellung und dann in den ersten Runden Marc Marquez eine Chance auf den Titel gegeben? Wahrscheinlich nicht, aber sag niemals nie, wenn es um den achtfachen Weltmeister geht. Er wird in dieser Saison noch mehr Grands Prix gewinnen und es liegt an Martin und Pecco Bagnaia, an der Spitze keine Fehler zu machen.
Seit dem allerersten Flag-to-Flag-Rennen auf Phillip Island 2006 wurden in diesem Sekundenbruchteil gute und schlechte Entscheidungen getroffen. Es muss ein Albtraum für die Fahrer sein, die zu dieser Zeit ziemlich beschäftigt sind. Ein Motorrad mit 325 km/h zu fahren ist schon hart genug, aber in der heutigen Zeit müssen sie so viele Dinge checken und im Auge behalten, noch bevor sie überprüfen können, wie stark der Regen auf ihr Visier fällt.
Manchmal ist es eine sehr einfache Entscheidung. Wenn sich der Himmel auftut, wie letztes Jahr in Motegi, ist dein einziger Gedanke, so schnell und sicher wie möglich zurück in die Boxengasse zu kommen, um das Motorrad zu wechseln. Wenn es ungewiss ist, sieht die Sache schon ganz anders aus. Wer wird jemals Brad Binders einmalige Fahrt auf dem Red Bull Ring vor drei Jahren vergessen? Als der Regen auf die Strecke fiel, widersetzte sich der KTM-Fahrer jeglicher Logik und blieb auf Slicks draußen, während seine Konkurrenten in die Boxengasse fuhren. Ich glaube nicht, dass ich der Einzige war, der den Atem anhielt und sich über seine letzten paar rutschenden Runden wunderte. Es war ein Risiko, das sich ausgezahlt hat, aber das war nicht immer der Fall. Als es 2014 in Aragon zu regnen begann, entschieden sich die Repsol Honda Teamkollegen Dani Pedrosa und Marc Marquez, auf Slicks zu fahren, während Jorge Lorenzo an die Box kam, um auf Regenreifen zu wechseln. Sowohl Pedrosa als auch Marquez stürzten im Regen. Lorenzo war ein komfortabler Sieger, aber Marquez holte sich den Titel. Also, Kopf hoch, Jorge Martin.
Ich bin mir nicht sicher, ob alle Fahrer das Flag-to-Flag-Rennformat mögen, aber für die Rennkommentatoren war es ein Traum. Ich konnte nicht herausfinden, ob die Fahrer die richtige Distanz zurückgelegt hatten, als der Regen einsetzte, oder ob wir die Gesamtzeiten von zwei verschiedenen Rennen nehmen mussten. Der Knackpunkt kam 2004 in Mugello, als das ursprüngliche Rennen wegen des einsetzenden Regens abgebrochen wurde. Die Wiederholung des Rennens wurde als separates Rennen gewertet und umfasste nur sechs Runden. Es wird gemunkelt, dass ein Fernsehsender das erste Rennen als Ergebnis ankündigte und seine Übertragung beendete, bevor das kürzeste Rennen in der Geschichte der MotoGP™ stattfand. Die Zuschauer in Mugello machten sich keine Sorgen, denn Valentino Rossi gewann die nur 31,470 km lange Begegnung.
Misano liegt an der Küste der Adria. Vielleicht macht die Nähe zum Wasser das Wetter zu einem Faktor, denn es hat auf jeden Fall eine Rolle bei meinen Erfahrungen in Misano gespielt. 1976 wurde mein allererster Auftrag als Reporter für Straßenrennen für die Motor Cycle News abgebrochen, als Giacomo Agostini aufgrund von Schneeregen und Regen nicht antreten konnte und die Veranstaltung abgesagt wurde. Als Misano 2007 nach 24-jähriger Abwesenheit wieder in den Grand-Prix-Kalender aufgenommen wurde, unterbrachen sintflutartige Regenfälle den ersten Trainingstag.
Man konnte die Spannung in der Luft der Fahrer auf der Startaufstellung förmlich spüren, als die Regentropfen von jenseits der Adria kamen. Die alten, erbitterten Rivalen Valentino Rossi und Max Biaggi boten ihre Ratschläge an, aber nur einer konnte die Entscheidung treffen, sobald die Ampel ausging. Jorge Martin traf am Sonntag die falsche Entscheidung, aber er wird weder der erste noch der letzte Fahrer sein, der in der Hitze des Gefechts die falsche Entscheidung trifft.